«Les jours des éphémères»

Festival für ephemere Kunst, 6. Ausgabe, Künstlerhaus s11 

Freitag 26. April - Sonntag 28. April 2019

Beteiligte Kunstschaffende: Claudia Grimm, Johanna Gschwend, Nathalie Papatzikakis, Annette Hahn, Lea Fröhlicher & Olivia Hegetschweiler, Denise Haschke, Viviana Andrea González Méndez, Ana Rakel Ruiz de Sabando, Esther Hagenmaier, Karin Heinrich, Laureline Koenig

 

Vernissagerede: Martin Rohde

 

 


Claudia Grimm

Die ursprünglich aus Berlin stammende, allerdings schon lange im bernischen tätige Performancekünstlerin Claudia Grimm präsentiert uns die Arbeit „Der Kunstgenerator“ des Kunstkollektivs „DARTS“ (disappearing artists), die zunächst und vor allem irritieren möchte. Mit einem einfachen Saalblatt, welches hier im S11 ausliegt und von dem aus man einer blauen Spur folgen kann, werden wir in den öffentlichen Raum entführt. Dort werden wir wiederum auf drei Objekte aufmerksam gemacht, die wir im Stadtraum wohl noch nicht, oder noch nicht in diesem Zusammenhang wahrgenommen haben. Handelt es sich um Kunst-am-Bau? Wenn ja, aus welcher Zeit und in welcher Relation zueinander? Es handelt sich um öffentliche Rätsel, die es zu entdecken und vielleicht zu lösen gilt, aber vielleicht begreifen wir sie auch einfach nur als ephemere Momente. Eine weitere interessante Dimension kommt hinzu, wenn man weiss, dass der als Standpunkt ausgewählte blaue Punkt, von einer Jahre zurück liegenden Arbeit einer Berliner Gastkünstlerin stammt, die im öffentlichen Raum besondere Anziehungspunkte mit blauer Farbe markierte. Das Projekt wird bis zum Sonntag andauern.


Johanna Gschwend

Die aus dem Rheintal stammende und heute in Luzern arbeitende Videokünstlerin Johanna Gschwend arbeitet mit komprimierten Klötzen aus Kokoserde, die durch einen Metallrahmen zusammen gehalten werden und der steten Wasserzufuhr durch die sie in einem Prozess diese Erdschichten aufbricht. Das Geräusch der kontinuierlich aufprallenden Tropfen gibt der Arbeit einen eigenen Rhythmus. Die Kokoserde saugt das Wasser auf, die Oberfläche wird gesprengt und das Material beginnt sich aufzutürmen. Das Volumen der Erdklötze vervielfacht sich im Verlauf der Ausstellungszeit und die einheitliche Fläche verformt sich zu einer Erdmasse. Ihr Titel „Jetzt“ verweist auf den sich verändernden Zustand im zeitlichen Rahmen und die abschliessende Dauer lässt sich nicht genau vorher sagen.


Nathalie Papatzikakis

Die aus dem Film- und Theaterbereich kommende Künstlerin Nathalie Papatzikakis wartet im Dachstock mit einer sehr poetischen Installation auf uns, in der sie eine Pyramide aus Plastik zeigt und durch Rauchzeichen und Beleuchtung ein geheimnisvolles Bild kreiert. Der plastisch wirkende Nebel wird nur kurze Zeit stehen bleiben und sich dann langsam auflösen. „Durch die Vorstellung einer alternativen Wirklichkeit, die Perspektive auf die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verändern, und somit wieder Einfluss auf die Wirklichkeit nehmen.“ schreibt Nathalie in ihrem Projektpaper. „Dort verweilen sie...“ heisst ihre Arbeit und auch unsere Betrachterarbeit benötigt ein Verweilen in Indianergeschichten, eigener Kindheit und Sehnsucht.


Annette Hahn

Annette Hahn experimentiert mit der Haltbarkeit von luftgefüllten Ballons, die ganze Vasen in der Schwebe halten, bis sie ihrem unweigerlichen Ende entgegen gehen und auf dem Boden zerschellen. Sie nennt ihre Arbeit „Kismet“, was im Islam für „Schicksal“ steht und also der menschlichen Entscheidungsfreiheit entzogen erscheint. Der die Form zerstörende Prozess ist vorherbestimmt, doch das Wie und das Wann sind ungewiss. Wie bei den meisten hier präsentierten Arbeiten können wir nur durch geduldiges Warten dem Moment des eigentlichen Verfalls beiwohnen. Dieser und die Vorahnung vom Loslassen geben uns Denkangebote an die Hand. Die Künstlerin dazu: „Die Vase versinnbildlicht in ihrer Körperlichkeit das Leben. Dennoch ist die Unausweichlichkeit des Endes allgegenwärtig und lässt den Betrachter ausharren. Bedeutet Destruktion das Ende oder werden neue Formen hervorgebracht? Was bringt eine neue Ordnung? Oder bleibt nur die Gewissheit der Zerstörung?“ Auch diese Arbeit wird heute gestartet und dauert je nach Prozess Morgen noch an.


Lea Fröhlicher & Olivia Hegetschweiler

Etwas schneller geht es bei dem Projekt von Lea Fröhlicher und Olivia Hegetschweiler, zwei jungen Künstlerinnen aus Solothurn und Zürich. Sie haben im Künstlerhaus eine installative und performative Glückskeks-Produktion aufgebaut, die sich eher konzeptionell mit dem Thema des Ephemeren auseinandersetzt. „Schmiede dir deinen eigenen Future_Kek$“ haben sie ihre Arbeit genannt und das Publikum kann im 3. Stock in der aus ephemeren Pappkartons nachgebauten ehemaligen Küche ein Produkt ordern, dass im Anschluss in der Manufaktur im Sous-Sol nicht sichtbar von den beiden Künstlerinnen produziert und ausgeliefert wird. Auch hier spielen Begriffe wie Schicksal, Zufall, Fügung, Reichtum, Vermögen und Glück eine ephemere Rolle. Den schriftlichen Inhalt der Kekse sollen die Besucher nach dem Motto „Vergangenes wird Zukunft“ wählen. Und sie werden ihr Produkt durch verschlingen umgehend vernichten. Die Future-Keks-Küche wird heute und morgen Abend zu benutzen sein.


Denise Haschke

Die Bündner Künstlerin Denise Haschke, die sich schon lange mit ephemeren Kunstprozesen auseinandersetzt, und ihre Arbeit „vanitas“ – einem Inbegriff des ephemeren – nähern sich performativ dem Thema. Sie wird uns mit einer schmelzenden Halskette aus mit Chlorophyll gefärbten Eisjuwelen auf einem Baumwollkleid das Vergängliche und Veränderliche Sein vorführen. Das Geschmolzene hinterlässt eine lichtflüchtige Spur, denn der Farbstoff Chlorophyll verblasst mit der Zeit. Mehrere flüchtige Momente hinterlassen hier ihre Spuren. „Mit der Schmelze werden Schnee und Eis verdrängt und das grüne Chlorophyll der Vegetation nimmt zunehmend den Platz ein.“ Die ephemeren aber wiederkehrenden Wandlungsprozesse der Natur eignen sich besonders für die künstlerische Umsetzung im Rahmen unseres Themas.


Viviana Andrea González Méndez

Die Künstlerin, Doktorandin und Hochschullehrerin Viviana Andrea González Méndez, gebürtig in Bogota und seit einigen Jahren in der Schweiz wohnhaft, wird uns in die Geheimnisse der tönenden Schwerkraft einführen. Sie hat ein Netz aus Häkelgewebe und Steinen im offenen Raum installiert und gibt dem Betrachter durch eine Wickelmaschine die Macht, dieses Netzwerk aufzulösen. Das Fallen der Steine, die Arbeit heisst denn auch „La Caída (das Fallen)“ wird über Mikrofone akustisch dokumentiert und vertont. Zitat Künstlerin: „Jeder Stein wird stückweise fallen und sein ausgedehnter Klang wird den Raum für einen Moment einnehmen.“ Auch hier haben wir das Moment der Auflösung, des Fallens und der Audiodokumentation.


Ana Rakel Ruiz de Sabando

Mit Eis und der Veränderung von Aggregatzuständen arbeitet die Künstlerin Ana Rakel Ruiz de Sabando. Sie wird in einem Eisblock den Schriftzug „ephemere“ mittels eines Bindfadens einfrieren und zur Präsentation aufhängen und ihn sich dann langsam auflösen lassen. Ana Rakel nennt es „das Vergnügen des Wartens“ und dem Betrachter ist dringend empfohlen, den Prozess über einen längern Zeitraum wahrzunehmen und wiederzukehren. Zitat Künstlerin: „In einer flüchtigen Zeit, in der wir uns darauf beschränken jedes Ereignis um uns herum zu kommentieren und oberflächlich zu beobachten, erscheint es [anachronistisch], sich ruhig und geduldig der Gegenwart zu stellen. Das Beobachten und das Reflektieren sind fast zu mythologischen Konzepten geworden, bei welchen jede Geste die Geduld erfordert, aus einer anderen Zeit zu kommen scheint.“


Esther Hagenmaier

Esther Hagenmaier (aus Ulm in Deutschland) offenbart uns ephemere Licht-Prozesse mittels Fotogrammen in denen sie Formen mit sich wandelnder Farbe durchdringt. Sie wird an einer Wand mehrere Fotogramme installieren. Auf diesen werden wir „sich überlagernde Dreiecksformen in verschiedenen Grautönen auf weissem Grund" sehen können. Durch die Lichteinwirkung im Ausstellungsraum wird eine Verfärbung der weißen Partien und der hellen Grautöne stattfinden. Je nach Art, Intensität und Dauer des einwirkenden Lichts verfärben sich diese zuerst nach Rosa, bei andauernder sehr starker Lichteinwirkung geht dieses mit der Zeit in Grau über. Das Licht und die Zeit werden zu Mitspielern. Der Betrachter kann die Verwandlung, das Dunklerwerden der hellen Tonwerte miterleben. Eine neue Anmutung, Erscheinung entsteht. Ein Experiment mit offenem Ausgang.“


Karin Heinrich

Die zweite Künstlerin, die mit dem Aggregatzustand Eis agiert, ist die Solothurnerin Künstlerin Karin Heinrich, die Tierfelle eingefroren hat und uns nun an den Veränderungen beim Auftauen Anteil haben lässt. Auch hier braucht es Zeit und Geduld, um die erstaunlichen Prozesse des Auflösens und die Wandlungen der Formen wahrzunehmen. Das Fell ist dem Menschen ursprünglich eigen und es hat ihn geschützt, nun versucht er es jedoch immer mehr zu verleugnen und es löst sich auf. Ent-Formung durch Wärme.


Laureline Koenig

Performative Arbeiten sind per se ephemer, aber die Performance von Laureline Koenig ist auf besondere Weise dem Thema nahe. Sie möchte durch eine tänzerische und stimmliche Annäherung an zufällige Passanten einen ephemeren Prozess erzeugen und ihn erlebbar machen. Es geht ihr um die intime Erkundung des Raumes und der Beziehungen zum Publikum, aber auch um die Erforschung von Grenzen zwischen Normalität und Anderssein, zwischen voll und leer, zwischen Vorher und Nachher. Wie tönt ein Ort? Ich welcher Sprache geschieht eine Begegnung? Wie klingen Gedanken? Voicewalking ist eine Improvisation mit Solo-Stimme und Bewegungen auf der Gasse vor dem Künstlerhaus ohne vorherbestimmten Anfangs- und Endpunkt. Dabei singt Laureline in ihrer eigenen Sprache, einem Zungensprechen und orientiert sich in der körperlichen Arbeit an der regenerativen Bewegung Katsugen Undo von Itsuo Tsuda. Manchmal wird die Bewegung zu Tanz, manchmal ist sie absurd oder grotesk.